Henrik Wilhelm Edler, Dissertation, Fachbereich Physik der Universität Hamburg, 2023 :

"Die Auswirkung der Galaxienhaufenumgebung auf Galaxien und AGN - Eine LOFAR Studie"


"The Effect of the Galaxy Cluster Environment on Galaxies and AGN - A LOFAR Study"



Summary

Kurzfassung

Galaxienhaufen, die massereichsten Bausteine der großräumigen Struktur des Universums, sind mit dem heißen Intracluster-Medium (ICM) gefüllt. Obwohl es sich bei dem ICM um ein extrem dünnes Medium handelt, führen die hohen Geschwindigkeiten der Galaxien und die Bewegungen des ICM zu hydrodynamischen Strömungskräften. Der Staudruck, der vom heißen ICM-Wind ausgeübt wird, kann sich auf sternbildende Galaxien und Radiogalaxien auswirken und damit deren Eigenschaften und Entwicklung beeinflussen. Das Ziel dieser Doktorarbeit ist es, herauszufinden wie Galaxien und ihre Radioemission von der Interaktion mit der Galaxienhaufenumgebung geformt werden. Als wichtigstes Beobachtungsinstrument habe ich das LOw-Frequency Array (LOFAR) verwendet, das hohe Empfindlichkeit und Winkelauflösung mit einem weiten Sichtfeld und einzigartigen Niedrigfrequenzfähigkeiten kombiniert. Das erste Anschauungsobjekt dieser Arbeit ist der Virgo-Haufen, der nächstgelegene massive Galaxienhaufen und somit ein ideales Beispiel, um Umgebungseffekte in Haufen bei unübertroffener räumlicher Auflösung und Empfindlichkeit zu erforschen. Allerdings stellt die helle zentrale Radioquelle in M87 eine technische Herausforderung für Radiobeobachtungen des Haufens dar. Um diese Schwierigkeiten zu bewältigen, habe ich eine Kalibrierungsstrategie entwickelt, die es erstmals ermöglichte, M87 genau zu kalibrieren und den Virgo-Haufen mit dem LOFAR-High Band Antenna (HBA) System zu untersuchen. Diese Himmelsdurchmusterung erreicht eine Empfindlichkeit, die um eine Größenordnung höher ist als bestehende Weitfeld-Himmelsdurchmusterungen in dieser Region, und wird zusammen mit einem Radiokatalog der Virgo-Haufen-Galaxien öffentlich zugänglich gemacht. In diesen Himmelskarten habe ich acht neue Kandidaten für Galaxien mit durch Staudruck abströmenden Radioschweifen (ram-pressure stripping, RPS) entdeckt. Durch den Vergleich der Radioeigenschaften einer Gruppe von RPS-Galaxien und einer Kontrollgruppe konnte ich bestätigen, dass die RPS-Galaxien im Virgo-Haufen eine zwei- bis dreimal höhere Radioleuchtkraft aufweisen, als anhand ihrer Sternentstehungsrate zu erwarten wäre. Darüber hinaus fand ich erstmals Hinweise darauf, dass RPS-Galaxien einen steileren Radiospektralindex als ungestörten Objekten derselben Masse aufweisen. Ich habe auch verschiedene umweltbedingte Mechanismen verglichen und eingeschränkt, die sowohl die höhere Radioemission als auch eine spektrale Steigerung erklären können. Das zweite Anschauungsobject dieser Arbeit ist Abell 1033, ein verschmelzender Galaxienhaufen mittlerer Masse. Er beherbergt eine Radioquelle, die als sanft wiederenergetisierter Schweif (gently re-energized tail, GReET) bekannt ist. Dieser ausgedehnte Radiogalaxienschweif wird vom Staudruck des ICMgeformt, wobei die zweite Hälfte des Schweifes besonders spektakuläre Eigenschaften aufweist, darunter ein räumlich gleichmäßiges und extrem steiles Spektrum. Ich erweiterte die Wellenlängenabdeckung dieses Haufens, zu der auch ein Radiophönix und ein riesiger Radiohalo gehören, hin zu Ultratiefstfrequenzen unter Verwendung des LOFAR-Low Band Antenna (LBA) Systems bei einer Frequenz von 54MHz. Ich habe herausgefunden, dass der GReET ein extrem konvexes Spektrum aufweist. Dies ist im Einklang mit dem Aufrechterhalten einer relativistischen Elektronenpopulation durch einen ineffizienten Wiederenergetisierungsmechanismus. Ein möglicher Beschleunigungsmechanismus ist die stochastische Beschleunigung durch Turbulenzen, die durch Wechselwirkungen mit dem umgebenden ICM in den Schweif eingebracht werden. Darüber hinaus stellte ich fest, dass das riesige Radiohalo in Abell 1033 sowohl ein extrem steiles Spektrum hat, wie es von homogenen Wiederbeschleunigungsmechanismen erwartet wird, als auch eine überhohe Leuchtkraft aufweist. Diese Ergebnisse zeigen, dass das Radiofenster im Nieder- und Ultraniederfrequenzbereich entscheidend ist, um ineffiziente Beschleunigungsprozesse und die ältesten Elektronen der kosmischen Strahlung zu erforschen. Der Stand der Technik in diesem Bereich wird durch das LOFAR 2.0 Upgrade weiter vorangetrieben. Dies wird die Möglichkeit zur gleichzeitigen Beobachtung mit dem LBA und HBA-System einführen, wodurch innovative Kalibrierungsstrategien eröffnet werden. Diese können die großen Bandbreite nutzen, um die starken richtungsabhängigen Fehler, die die Ionosphäre im Niederfrequenzbereich erzeugt, genau zu korrigieren. In diesem Zusammenhang habe ich eine simulierte Beobachtung mit dem LOFAR 2.0-System analysiert, die realistische Modelle der relevanten systematischen Effekte enthält. Ich habe die Möglichkeit der gleichzeitigen Bestimmung der ionosphärischen Parameter aus dem LBA und HBA in LOFAR 2.0 untersucht, indem ich systematisch drei verschiedene Kalibrierungstrategien auf den simulierten Daten verglichen habe. Zusammenfassend präsentiere ich in dieser Arbeit LOFAR-Studien zu Umgebungseffekten in Galaxienhaufen, am Beispiel von Staudruck-beeinträchtigten Galaxien im Virgo-Haufen und dem GReET in Abell 1033. Dies wurde durch Fortschritte in Kalibrierungs- und Bildgebungstechniken ermöglicht, zu denen dieses Promotionsprojekt beigetragen hat. In naher Zukunft wird das LOFAR 2.0-Upgrade und die neuartigen Kalibrierungsstrategien, die ich in dieser Arbeit untersucht habe, zu einer weiteren erheblichen Verbesserung der Beobachtungsmöglichkeiten im Nieder- und Ultraniederfrequenzbereich führen.

Titel

Kurzfassung

Summary

Galaxy clusters, the most massive virialized constituents of the large-scale structure of the Universe, are filled with the hot intracluster medium (ICM). Even though the ICM is dilute, the high velocities of cluster member galaxies and the bulk motions of the ICM give rise to hydrodynamical drag forces. The ram pressure exerted by the hot ICM wind can affect star-forming and radio galaxies, thereby shaping their properties and evolution. In this doctoral thesis, my main focus lies on unraveling the connection between cluster galaxies, their radio emission and the environmental mechanisms at play. As primary observational tool, I used the LOw-Frequency Array (LOFAR), which combines high sensitivity and angular resolution with a wide field of view and unique low-frequency capabilities. The first subject of this thesis is the Virgo Cluster, the closest massive galaxy cluster and thus an ideal laboratory to probe environmental effects in clusters at unmatched spatial resolution and sensitivity. However, the bright central radio source in M87 presents a technical challenge for radio observations of the cluster. To address these difficulties, I developed a calibration strategy which allowed for the first time to accurately calibrate M87 and survey the Virgo Cluster with the LOFAR high-band antenna (HBA) system. This survey reaches an order-of-magnitude greater sensitivity than existing blind surveys of that region and is made publicly available to the community together with a radio catalog of Virgo Cluster galaxies. In this survey, I discovered eight new candidate ram pressure stripped (RPS) radio tails. By comparing the radio properties of a sample of RPS galaxies and a control sample, I could confirm that the RPS galaxies in Virgo have two to three times higher radio luminosities than expected, given their star formation rate. Furthermore, for the first time I reported evidence that RPS galaxies show a steeper radio spectral index compared to non-perturbed objects of the same mass. I also compared and constrained different environmental mechanisms which can explain both the excess radio emission and a spectral steepening. The second subject of this thesis is Abell 1033, a merging galaxy cluster of moderate mass. It hosts a radio source known as gently reenergized tail (GReET). This extended radio galaxy tail is shaped by the ICM ram pressure, the second half of the tail possesses peculiar properties with a spatially uniform and ultra-steep spectrum. I extended the radio coverage of the ultra-steep spectrum emission of this cluster, which also includes a radio phoenix and a giant radio halo, towards ultralow frequencies using the LOFAR low-band antenna (LBA) system at 54 MHz. I found that the GReET shows extreme spectral curvature, in agreement with a cosmic ray electron population that is maintained by an inefficient reacceleration process. A feasible acceleration mechanism is stochastic reacceleration by turbulence which is driven into the tail through interactions with the surrounding ICM. Furthermore, I found that the giant radio halo in Abell 1033 is both ultra-steep, in line with expectations from homogeneous reacceleration models, and over-luminous. These findings prove that the low- and ultra-low frequency radio window is crucial to probe inefficient acceleration processes and the oldest cosmic ray electrons. The state of the art in this regime is about to be advanced by the LOFAR 2.0 upgrade. This will introduce the capability of simultaneous observations with the LBA and HBA, thereby allowing for innovative calibration strategies that leverage the large fractional bandwidth to calibrate the direction-dependent errors introduced by the ionosphere, which are a critical limitation in the low-frequency regime. In this context, I analyzed a simulated observation with the LOFAR 2.0 system, which included realistic models of the relevant systematic effects. I investigated the prospects of the simultaneous inference of ionospheric parameters from the LBA and HBA in LOFAR 2.0 by systematically comparing three different calibration approaches on the simulated data. In summary, in this thesis I present LOFAR studies of the environmental effect in galaxy clusters, at the example of ram pressure stripped star-forming galaxies in the Virgo cluster and the GReET in Abell 1033. This was enabled by the advances in calibration and imaging techniques, to which this doctoral project contributed. In the near future, the LOFAR 2.0 upgrade and the novel calibration strategies that I investigated in this thesis will lead to a further substantial improvement of the observational capabilities in the low- and ultra-low frequency regime.